"Wachstumskritik, Postwachstum, Degrowth.
Wegweiser aus der (kapitalistischen) Zivilisationskrise"
Mit sogenanntem Wachstum, genau gesagt also der in BIP gemessenen Kapazitätsausweitung und - intensivierung ökonomischer Produktion, lassen sich die gegenwärtigen Krisen nicht lösen. Im Gegenteil: Sowohl die diversen Aspekte der Öko-Krise (die Klimakatastrophe, die zunehmende Ressourcenknappheit, das Artensterben, die Energieversorgungsfrage, die Landnutzungsfrage, die Wasserfrage, die Naturkatastrophenprobleme, die Vermüllungsprobleme) als auch die damit einhergehenden globalen Verteilungs-und Gerechtigkeitsfragen als auch die Frage nach einem generellen Wohlstandszuwachs für alle als auch die die kulturkritische Entfremdungsfrage verschärfen sich unter den Bedingungen des "Einfach weiter so!" eines überkommenen und nicht hinterfragten Wachstumsimperativs. "Grünes", "nachhaltiges", "qualitatives" Wachstum erweist sich als Oxymoron, als Paradoxie, als riesige Greenwashing-Kampagne der Ökonomie als Ganzes.
Das ist alles bekannt und unter einzelnen Blickwinkeln expliziert worden, unter anderem von
Autoren der "Initiative Ökosozialismus", von B. Kern in "Das Märchen vom grünen Wachstum"
und von H. Peukert in "Klimaneutralität jetzt!". Genau das alles weiß auch Frank Adler schon
lange; dies ist bereits sein drittes Buch, in welchem er sich mit dieser Materie auseinandersetzt. Diesmal hat er sich das Ziel gesetzt, einen detaillierten Überblick über sämtliche Positionen und Ansätze zu schreiben, die es mit der Kritik am Wachstumsdogma der kapitalistischen Gesellschaften ernst meinen. Seinen "Wälzer" (Vorwort) von fast 600 Seiten empfiehlt er als "Nachschlagwerk" (Vorwort) zu benutzen, die Kapitel könnten einzeln gelesen werden. Für einen Lexikon-Charakter des Buchs wären jedoch Autor*innen- und Begriffsindexe hilfreich gewesen. Eine halbwegs mit dem Thema vertraute Leser*in findet auf gezielte Such-Fragestellungen hin aber auch zuverlässig Antworten im Inhaltsverzeichnis, das sehr ausführlich, aufschlussreich und gut ist: Positionen, Begriffe, Namen, Problemstellungen sind darin, geordnet in sieben Kapiteln, übersichtlich dargestellt und schlüssig und überzeugend in Zusammenhang gebracht. Zentral in Adlers "Wälzer" sind sicherlich die Kapitel 3 und 5, denn hier geht es direkt um die Explikation der drei Grundbegriffe "Wachstumskritik", "Degrowth" und "Postwachstum", in Kap 3 grundsätzlich und strukturell, in Kap 5 noch einmal in Bezug auf Einzelpositionen deutschsprachiger Autor*innen. "Wachstumskritik" ist für Adler die Rubrik für die historischen Vorläufer der beiden anderen Rubriken, hier tauchen Größen auf wie Georgescu-Roegen, Hirsch, Schumacher, Illich, Bahro, Daly, Gorz u.a.; ihnen ist Kap 4 als "Rückblicke" gewidmet. "Degrowth" entstammt dem angelsächsischen und französisch-südeuropäischen Raum, es ist radikaler und
kapitalismuskritischer als das in Deutschland entstandene "Postwachstum", das eine nachhaltige Gesellschaft jenseits des Wachstumszwangs herstellen möchte, ohne jedoch weitere Systemfragen unbedingt stark zu thematisieren. Adler handelt nun die zentralen Forderungen und Visionen unter dem Kürzel "PW/D" ab, wobei er die drei klassischen Dimensionen "Kritik", "Visionen" und "Aktion" bearbeitet. Kritik-Aspekte sind "Ökologische Kritik", "sozial-ökonomische Kritik", feministische Kritik", "globale Kritik der Nord-Süd-Ungleichheiten", Kritik der selbstzweckhaften
Steigerungslogik" und "Kulturkritik", wobei dann entsprechende "Visionen" diese Kritikpunkte
aufgreifen und zu bearbeiten gedenken. Auf der Aktionsebene sieht Adler zwei
Hauptmöglichkeiten, einmal die "Freiräume" und Nischen von kleineren oder größeren an
Bewegungen angeschlossenen Kollektiven, die alternativ leben wollen und zweitens die
Erkämpfung poltischer Reformen, die das Wachstums- und Steigerungsparadigma eindämmen sollen. Voraus geht den zentralen Kapiteln 3-5 die Analyse der Fragen, ob Wachstum grün sein (werden) kann, ob es überhaupt noch Wohlstand schafft, ob es globale Ungleichheiten ausgleichen kann, ob es generell die Fortschrittsverheißungen der Moderne erfüllen kann, Fragen, die von Adler alle verneint werden. Dem folgt eine marxistische Analyse des Wachstumsparadigmas auf politökonomischer Ebene. Erfreulich ist hier, dass der Marxismus den Autor nicht zum verbreiteten Denkreflex einer Subsumtion des Wachstums- und Ökothemas unter andere überholte marxistische Kategorien führt, etwa zur Konstruktion eines "Nebenwiderspruchs" unter dem "Hauptwiderspruch" Kapital und Arbeit oder zum Reflex, nur Klassenkampf könne der Ausweg aus dem Wachstumsproblem sein. So wie Adler es vorlegt, bleibt hier kapitalismuskritische Analyse jenseits der Mainstrem-Ökonomie fundiert, ohne dogmatische Folgewirkungen zu haben, die das eigentlich zentrale Öko-Problem eskamotieren könnten. Aus Kapitalismuskritik, so notwendig und
wünschenswert sie ist, folgt, das betont er zu Recht deutlich, nicht direkt das dringend erforderliche ökonomische Schrumpfungspostulat.
Symptomatisch ist ja auch der Streit innerhalb der Öko-Linken, ob der Wohlstandsanspruch der durchschnittlichen Lohnabhängigen aus sozioökonomischen Gründen weiter verteidigt werden soll oder ob er angesichts des imperialen Anspruchs nördlich-westlicher Industrieländer gegenüber den ärmeren Weltregionen hinterfragt werden müsse. Adler plädiert eindeutig für Letzteres, er könne den Angriff auf Brand/Wissens Theorie der "imperialen Lebensweise" von Seiten bestimmter Linker nicht nachvollziehen. Das alles rückt ihn ganz in die Nähe zur "Initiative Ökosozialismus", wohingegen die andere Position tendenziell eher vom "Netzwerk Ökosozialismus" vertreten wird. Linke Kritik an PW/D-Theorien greift Adler ohnehin differenziert auf, bindet sie ein, lässt sich aber in seiner Verteidigung von PW/D nicht irritieren. Er verzichtet aber auf Polemik, auf Ausgrenzung
bestimmter Sichtweisen, immer im Blick, dass sämtliche Ansätze, die das Wachstumsparadigma überwinden wollen, Facetten eines großen Panoramas von Kritik darstellen. Adlers Buch ist ein Kompendium, ein Überblicks-Werk. Folgerichtig kommen einzelne Autor*innen nicht direkt zu Wort, es gibt nirgends einen Schlagabtausch zwischen Zitaten und Autorenmeinung, keine Diskussionen. Das wirkt nach einiger Lesezeit abstrakt, man wünscht sich, dass der überfliegende Adler (im doppelten Sinn) einmal ins nahe Gestrüpp herabstößt und dort etwas dreht und wendet, ein Postulat oder Plädoyer angesichts der Reihe nüchterner Deskriptionen, es ist jedoch folgerichtig angesichts der Fülle der zitierten Literatur (allein das Literurverzeichnis umfasst über 50 Seiten). Die Namen stehen für Positionen, Ansätze, Varianten, Spielarten der Diskussion um Postwachstum und Degrowth, Adler behandelt sie neutral, niemand wird verrissen, niemand auch besonders gefeiert, ein gigantisches metatheoretisches Referat zur Synopse, zur Zusammenschau des Postwachstumsdenkens.
Am Ende, aber auch zwischendurch und von Anfang an, die eigentlich wie immer entscheidende Frage: Wer macht es? Wieso passiert so wenig? Wo ist das Subjekt der Transformation? Der Dreischritt Kritik-Vision-Aktion vermag hier keine befriedigende Antwort zu geben. Zur Behebung der Klimakrise, die als Inbegriff der Öko-Krise insgesamt wohl der zentrale Punkt der Notwendigkeit für PW/G ist, hat Adler "eine denkbar einfache Lösung: ....drastische, sofortige Reduktionen und Deckelung der neuralgischen Stoffumsätze, indem die Produktionsweise auf Bedürfnisse und Gebrauchswerte, egalitär auf ein gutes Leben für alle ausgerichtet wird (was auch Planung ermöglichen würde...) und Innovationen und Wettbewerb auf Vorschläge dafür orientiert werden." (519) Erstaunlich umstandslos und lakonisch konstatiert er aber sofort, dies sei unter gegebenen Bedingungen nicht realisierbar. "Es scheitert schlicht am Phänomen moderne Gesellschaft." (ebda), denn es würde "ein Subjekt mit einer gesamtgesellschaftlich ausgerichteten Rationalität" oder auch "eine bestimmende Mehrheit von Individuen, deren Wollen und Handeln von einer dadurch bestimmten Moral und Einsicht geprägt ist", erfordern. Was also dringend getan
werden müsste, will keiner tun. Es stellt sich die Frage, wozu dann letztlich die Mühen um subtile Differenzierungen im Korpus theoretischen Schrifttums gut sein sollen, das von einigen hundert Intellektuellen gepflegt wird, mit der Alltagsträgheit von Politik und Konsumentenmassen aber kaum etwas zu tun hat. Aber das ist ja nicht Frank Adlers Problem allein, sondern das der intellektuellen Avantgarde schlechthin. Vielleicht führt ja der kontinuierliche Zufluss qualifizierten Schrifttums zur Öko- und Gesellschaftskrise allmählich zum Bewusstseinswandel. Wenn, dann wird sicher dieses versierte Anti-Wachstums-Kompendium erheblich dazu beigetragen haben.
Thomas Friedrichs
Dr. Thomas Friedrichs
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